
Aquakultur an der Algarve: Auf den übermächtigen Spuren von Günter Walraff
Südländische Aromen
Wenn du in deinem Urlaub an der Algarve durch die kleinen, schnuckeligen Städtchen bummelst, kommt dir ein bunter Strauß von südländischen Aromen entgegen: Rosmarin, Thymian, Knoblauch, frisch gegrillter Fisch.
Irgendwann wird der Hunger dich in eines der vielen und guten Restaurants treiben.
Ein großes, vielseitiges Fisch-Angebot wartet auf dich.
Fischerei-Romantik
Vor dem geistigen Auge siehst du, wie nachts das kleine, pittoreske Fischerboot ausläuft. Frühmorgens kommt dann der kauzige, vollbärtige Fischer Antonio, der das kleine Familienunternehmen in der achten Generation betreibt, im dicken blauweißen gestrickten Rollkragenpullover, vermummt mit einem flauschigen Schal, der Kapitänsmütze, die schon sein Vater trug, mit der niemals ausgehenden Pfeife und seinem zotteligen Hund Chico zu den Restaurants und Märkten, um den Fisch zu veräußern.
Eine vielleicht etwas zu romantische Geschichte, die es aber so oder so ähnlich noch gibt. Leider nur noch selten, viel zu selten.
Tatsächlich sind die Meere überfischt. Die kleinen Fischer haben es immer schwerer.
Reichhaltiges Fischangebot auf den Märkten.
Fisch im Restaurant
Ich sitze im Restaurant, nur wenige Meter vom Meer entfernt, lausche dem Geräusch der brechenden Wellen.
„Wenn man irgendwo frischen Meeresfisch essen kann, dann hier an der Algarve. Sollen wir uns nicht eine gemischte Fischplatte bestellen?“
Einstimmiges Nicken bei seinen Freunden. Und dann erzählt der Mann – aufgrund des Dialekts schätze ich ein Bayer–, dass hier am Meer der Fisch doch viel besser und ganz anders als zuhause schmeckt. Eben frischer Fisch aus dem Meer und dann noch die günstigen Preise:
Dorade oder Wolfsbarsch mit Salat und Kartoffeln: 17 Euro, gemischte Fischplatte für zwei Personen 38 Euro.
Fisch vom Holzkohlegrill.
Aquakultur oder frisch aus dem Meer?
Aber woher kommt der Fisch? Aus dem Meer oder Aquakultur?
Die Frage ist schnell beantwortet. Bei den Preisen müsste der Fisch aus einer Aquakultur kommen.
Nehmen wir das Beispiel Dorade: ein Kilo aus Aquakultur kostet im Supermarkt in Lagos (Stand März 2023) zwischen fünf und zwölf Euro, je nach Größe.
Auf dem Fischmarkt (Meeresfisch) wird die Dorade ab 28 Euro Kilopreis aufgerufen.
Romantik und Wirklichkeit
Laut Angaben der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen lag der Fischkonsum weltweit 2022 bei 184,6 Millionen Tonnen (Fischfang und Aquakulturen).
Die Produktion aus der Aquakultur nimmt ständig zu. Mit Steigerungsraten von durchschnittlich neun Prozent pro Jahr seit 1970 ist sie der am schnellsten wachsende Zweig der Lebensmittelindustrie.
Seit 2009 gibt es auf Initiative der WWF (World Wide Fund for Nature) die unabhängige Organisation ASC (Aquaculture Stewardship Council), die die Standards setzt. Eine objektive Beurteilung von Nachhaltigkeitsaspekten bei Aquakulturen und eine zuverlässige Empfehlung für Verbraucher und Händler.
Auf dem guten Weg bist du auch, wenn der Zuchtfisch mit G.A.P. (Good Agricultural Council) gekennzeichnet ist.
Laut TÜV Nord bieten beide Verbraucherlabels den Kunden Sicherheit, weil sie geprüfte Produkte vom Erzeuger sind.
Also beim Kauf von Zuchtfisch auf die Logos ASC oder GGN (Global G.A.P.-Nummern) achten.
Fisch aus Wildfang: Siegel MSC
Fisch aus Aquakultur: Siegel ASC oder GGN (G.A.P.)
Aquakultur an der Algarve
Wir alle kennen die Dokus über die Fischfarmen der Lachse in Norwegen. Aber wie sieht es an der Algarve aus? Dieser Frage wollte ich nachgehen.
Wie ihr ja schon wisst, bin ich meistens per Pedes oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Fahre ich mit dem Zug („mein Bähnli“) von Lagos Richtung Faro, sehe ich auf der rechten Seite in der Nähe der Bahnstation Mexilhoeira Grande (2. Haltestelle) eine Fischfarm nach der anderen. Meine Neugierde, mein Entdeckungsgeist kommen in mir hoch:
Welche Fische werden hier gezüchtet? Wie sind die Bedingungen?
Auf der Suche nach einer Fischfarm
An der wie verlassen wirkenden Bahnstation Mexilhoeira Grande ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Ich laufe meinem Instinkt nach.
Aber der Instinkt trügt. „Du bist in die völlig falsche Richtung gelaufen.“ Dieser Satz einer radelnden Portugiesin ist in dieser Situation nicht gerade motivierend.
Geheimnisse der Aquakultur?
Dann ist es aber soweit: Ich sehe die ersten Becken einer Fischfarm. Vor mir ein groß eingezäuntes Gelände, in der Mitte ein schweres Eisentor. Ich mache mich bei den Arbeitern lautstark bemerkbar, sie müssen mich doch hören.
Keiner reagiert.
Mit Maschendrahtzaun eingezäuntes Gelände, schweres, großes Eisentor, kein Mensch reagiert auf meine Rufe. Warum kann ich Niemanden sprechen. Ist da was faul?

Auf den Spuren von Günter Walraff
Unwillkürlich muss ich an Günter Walraff und seine Recherchen denken. Also, ganz im Geist von Günter Walraff gehe ich auf Entdeckungstour.
Irgendwie muss ich doch da reinkommen, Fotos machen, mit Betreibern sprechen können.
Verbotenerweise laufe ich jetzt auf den Bahnschienen der Linha do Algarve, da ich ja die Zuchtbecken vom „Bähnli“ in der Nähe der Schienen ausgemacht habe.
Der Zug kommt mir entgegen. Von weitem höre ich schon das schrille und eindringliche Hupen.
Action auf der Linha do Algarve
Ich laufe auf dem Schotter weiter. Vor meinem geistigen Auge versetze ich mich in einen amerikanischen Actionfilm, wo der Held sich in einem U-Bahnschacht an die Mauer quetscht, sich bei vollster Kraftanstrengung gegen die Fliehkräfte wehren muss, um nicht unter den Zug zu kommen. Schon etwas enttäuscht muss ich mich aber mit einem leichten Lüftchen zufrieden geben.
Aquakultur-Farm Aqualvor
Endlich sehe ich wieder Maschendrahtzäune, die großen Becken, verschlossene Tore.
Mies gelaunt steuere ich einer großen Aquakulturfarm entgegen. Das Tor ist geöffnet. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und gehe direkt ins Büro, erkläre mein Anliegen.
Ich kann mir die gesamte Anlage anschauen, darf aber keine Fotos machen. Ein Anfang ist gemacht. Nach ein paar Schritten kommt ein höflicher junger Mann auf mich zu. „Kann ich ihnen behilflich sein?“
Wie sich herausstellt, ist Leonardo Toebben Vieira Sohn der deutschen Ärztin Dr. med. Bianca Toebben (Mitinhaberin der Firma Aqualvor in Alvor an der Algarve).
Mit dem G.A.P.-Siegel ausgezeichnet
Leonardo hat in Aachen studiert und ist zur Zeit an der Algarve. Er nimmt sich viel Zeit für mich und erklärt mir die komplexen Stationen von der Aufzucht bis zur Auslieferung zum Endverbraucher.
Nur kleinste Veränderungen beim Futter, bei der Sauerstoffzufuhr, bei der Hygiene können das System lahmlegen. Die gesamte Produktion wird nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen labormäßig überwacht. Alles ist nachvollziehbar.
Abbitte bei den Aquakulturfarmen
Bei der Komplexität der Fischzucht und dass kleinste Veränderungen immense schädliche Folgen nach sich ziehen können, kann ich jetzt auch verstehen, dass das Gelände abgezäunt ist.
Und es gibt immer wieder Gegner der Aquakultur, die ihren Unmut auf verschiedenste Weise ausdrücken.
Den meisten Fisch in Europa essen die Portugiesen, 55 kg pro Jahr, die Deutschen 14 kg pro Jahr.
Geschmack Meeresfisch vs. Aquakultur
Als Vertreter der Aquakultur ist Leonardo natürlich von den Produkten überzeugt und sieht keinen Geschmacksunterschied. Lediglich der Fisch aus der spanischen Produktion hätte einen anderen Geschmack.
Während meiner vielen Algarve-Aufenthalte habe ich sowohl Doraden und Wolfsbarsche als Meeresfische, aber auch als Zuchtfische genossen.
Einen Unterschied konnte ich nicht feststellen. Vielleicht sind aber auch meine Geschmacksnerven nicht sensibel genug.
Bom apetite!
* Fotos wurden mir teilweise von der Firma Aqualvor (www.aqualvor.pt) zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke. Leider durfte ich keine eigenen Fotos machen.
ÜBER MICH

Mein Name ist Klaus Sonnenschein.
Wenn man wie ich das Glück hat, so einen schönen Namen zu haben, so sollte es auch Teil der Lebenseinstellung sein.
Ihr werdet bei meinen Reiseberichten immer wieder merken, dass ich fast ausschließlich mit Bus und Bahn fahre (mein kleiner Beitrag zur Umweltschonung); daher die verstärkte Präsenz von Bahn und Bus.